Am 27. Juli 2024 wurde das Residenzensemble in Schwerin zur UNESCO-Welterbestätte erklärt. Dieses beeindruckende Ensemble, das das Schloss Schwerin und zahlreiche historische Gebäude umfasst, ist ein Symbol für die Residenzkultur des 19. Jahrhunderts. Doch wie steht es um das Residenzensemble in Neustrelitz, der ehemaligen Residenzstadt des Herzogtums Mecklenburg-Strelitz? Könnte auch hier ein architektonischer Schatz auf Niveau eines Welterbes schlummern?
Schwerin als Maßstab für Neustrelitz?
Schwerin wurde Welterbestätte nicht allein wegen seines prächtigen Schlosses, sondern aufgrund eines komplexen Ensembles von Bauwerken, die für Hof und Staat eine zentrale Rolle spielten. Das Beispiel Schwerin zeigt, dass es auf die Gesamtheit der Residenzlandschaft ankommt, nicht nur auf das Schloss.
Bild: Schweriner Schloss
Das ist ein wichtiger Punkt, weil letzteres in Neustrelitz zerstört wurde. Dafür kann die Stadt aber damit aufwarten, dass ihr Kern eine geplante Neugründung direkt am Schloss war. Schwerin HAT ein Residenzensemble. Das historische Neustrelitz IST dagegen Residenzensemble. Die Existenz dieser Stadt war lange Zeit untrennbar mit ihrer Rolle als Residenz verbunden.
Neustrelitz war zwar die kleinere Residenzstadt, doch auch hier spiegelt sich eine beeindruckende Residenzkultur wider. Mit ihrem barocken Stadtkern, historischen Palais, Schlossgarten und vielen weiteren Anlagen könnte die Stadt als „kleine Schwester“ Schwerins gelten. Diese Parallelen werfen die Frage auf: Wie könnte Neustrelitz vom Glanz des Schweriner Welterbes profitieren?
Ein Blick auf das Neustrelitzer Residenzensemble
Das Neustrelitzer Residenzensemble vor 1918 umfasste zahlreiche bedeutende Bauwerke: das Schloss mit Schlossgarten, Kavalierhäuser, Schlosskirche, Theater, Marstall, verschiedene Palais und Regierungsgebäude. Hinzu kamen Außenanlagen wie der Tiergarten, die Schlosskoppel und die Fasanerie. Auch die planmäßig angelegte Innenstadt mit ihren herrschaftlichen Wohnhäusern für Adelige und hohe Beamte war ein integraler Bestandteil.
Heute ist ein Großteil des Ensembles erhalten, doch es gibt auch Verluste. Besonders schmerzlich ist der Verlust des Residenzschlosses, das bei Kriegsende ausbrannte und danach gesprengt und abgetragen wurde. Weitere Bauten, wie das Staatsministerium oder die Fasanerie, sind unwiederbringlich verloren. Dennoch blieben etwa zwei Drittel des Ensembles erhalten – ein respektabler Anteil, der die historische Bedeutung Neustrelitz unterstreicht.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schwerin und Neustrelitz
Ein zentraler Unterschied ist somit der Zustand der Ensembles. Während Schwerin von Kriegszerstörungen verschont blieb, musste Neustrelitz erhebliche Verluste hinnehmen. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten: Beide Residenzen teilen architektonische und funktionale Merkmale, etwa die Verbindung von Schloss, Regierungsgebäuden, Kirchen und Wohnhäusern des Hofadels. Mecklenburg-Schwerin war allerdings der größere und zahlungskräftigere Landesteil. Zum Vergleich: Der Marstall in Neustrelitz ist ca. 106 Meter lang, der in Schwerin ca. 170 m. Der Schlossgarten Neustrelitz in der Länge ca. 270m, die gleiche Messung zeigt für Schwerin ca. 650m.
Bild: Marstall Neustrelitz – Reithalle und Ställe der Großherzöge
In beiden Ensembles ist der Stil des Historismus prägend. In Neustrelitz lag das an der Schaffensperiode des Hofbaumeister Buttel, der wie kein Zweiter für die fürstliche Baukultur in Mecklenburg-Strelitz steht. Während der Zeit Buttels wurde in Mecklenburg-Schwerin 1843 die herzogliche Residenz aus Ludwigslust nach Schwerin verlegt. Dadurch begann die rege Bautätigkeit erst in der Zeit des historistischem Stil.
In Neustrelitz begann die Zeit als Residenzstadt bereits mit der Gründung 1733. Die Planung der Straßenzüge war somit vom Barockstil beeinflusst. Große Teile der Stadt entstanden während der Epoche des Klassizismus.
Vor allem wegen der Zerstörung des Schlosses, stehen in Neustrelitz Orte im Umland wie Hohenzieritz mit seinem Schloss und Park, Mirow mit seinen Schlössern und der Fürstengruft ebenfalls im Fokus.
Chancen für Neustrelitz: Vermittlung und Vernetzung
Trotz der Verluste bietet das Neustrelitzer Residenzensemble enormes Potenzial. Um die Lücken in der Bausubstanz zu schließen, könnten innovative Vermittlungsformen wie Modelle, Führungen und digitale Rekonstruktionen eingesetzt werden. Wichtig ist, das Ensemble als – anschaulich gesprochen – „kleine, ramponierte Schwester“ des Schweriner Welterbes selbstbewusst in den Fokus zu rücken.
Ein stärkerer Verweis auf diese „Verwandtschaft“ könnte auch den regionalen Stellenwert von Neustrelitz stärken. Neben der Funktion als geografische „Drehscheibe“ zwischen der Tollensesee-Region, Feldberger Seenlandschaft, Kleinseenplatte und Müritz-Nationalpark könnte Neustrelitz seine Rolle als historisches und kulturelles Zentrum stärken.
Neustrelitz stellt sich zwar bereits als „Residenzstadt“ dar, aber es fehlt ein griffiges Konzept. Es ist eher Stückwerk aus „dem Vorhandensein historischer Gebäude, der sternförmigen Straßen und dem Theater und Tanzkompanie“. Schwerin kann helfen, eine Vorstellung der Bedeutung von „Residenzstadt“ aufzuzeigen. Im Sinne des Tourismus muss es Lust auf einen Besuch machen. Auch ohne vorherige Kenntnisse vom Herzog- und Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz, die man von Besuchern nicht erwarten darf.
Es wird sicher nicht allen gefallen, aber Neustrelitz sollte ein Stück weit auf einen Anspruch der „Einzigartigkeit“ verzichten und in der Kommunikation und im Selbstverständnis mehr auf Schwerin beziehen, um seine historische Bedeutung aufzuzeigen. Ein Stück Besinnung auf das Gemeinsame Erbe anstatt Abgrenzung voneinander.
Ein Mecklenburg-Strelitzer Welterbe: Die Serrahner Buchenwälder
Interessanterweise hat Neustrelitz aber bereits einen Welterbe-Bezug: Die Serrahner Buchenwälder, Teil des UNESCO-Weltnaturerbes, liegen in unmittelbarer Nähe – im Müritz-Nationalpark. Diese geschützten Wälder existieren nur, weil Großherzog Georg Mitte des 19. Jahrhunderts den Wald als Jagdgebiet weitgehend unangetastet ließ. Ein schönes Beispiel, wie Kulturgeschichte und Naturlandschaft ineinandergreifen.
Fazit: Neustrelitz sollte mehr auf sein Residenzensemble aufmerksam machen
Auch wenn Neustrelitz wegen der Verluste nicht direkt den Welterbe-Status Schwerins erreichen kann, ist sein Residenzensemble eine Würdigung wert. Es bietet die Chance Geschichte, Architektur und damit den in heutiger Zeit schwammigen Begriff „Residenzstadt“ greifbar zu machen. Durch gezielte Ansprache des Residenzensemble als Schwester des Schweriner Welterbes kann Neustrelitz seinen Platz als kulturelles Zentrum des ehemaligen Mecklenburg-Strelitz ausbauen – und vom Status des Schweriner Welterbes profitieren.
Um dies zu erreichen werde ich eine neue Führung „Neustrelitzer Residenzensemble“ anbieten und zudem eine Präsentation für einen Vortrag erstellen. Außerdem kann ich eine Info-Broschüre erstellen. Eine umfassende Studie, die das Thema ausführlich behandelt, traue ich mich zu auch selbst zu verfassen – dazu bräuchte ich allerdings Partner, die mich dabei finanziell unterstützen.
Beispiele für das Neustrelitzer Residenzensemble
Insgesamt habe ich mehr als 30 Objekte in Neustrelitz identifiziert, die man zum Residenzensemble zählen kann.
Großherzogliches Palais (kurz vor der Sanierung zum Hotel) – das erhaltene Schloss von Neustrelitz
Staatsministerium Neustrelitz (bei Kriegsende zerstört) – Im Schweriner Pendant sitzt heute die Landesregierung
Schlossgarten – zentrales erhaltene Element des Residenzensemble von Neustrelitz
Im Garten der Orangerie lässt sich die Gartenkultur am besten erahnen. Im Hintergrund die Schlosskirche.
Residenzschloss Neustrelitz (verloren)
Das herzogliche Wäschespülhäuschen, errichtet im Stil eines chinesischen Pavillion. Solche kleineren Holzbauten sind selten erhalten geblieben.
Im Inneren der Stadtkirche. Das Altarbild ist eine Kopie eines italienischen Meisters und wurde durch eine Großherzogin geschaffen. In der Stadtkirche gab es eine Fürstenloge, die aber schon vor über hundert Jahren bei Bauarbeiten entfernt wurde.
Dieses Luftbild aus den 1930ern zeigt die planmäßig angelegten Straßen. Bis heute Zeugnis der Gründung als Residenzstadt.
Kasernengebäude in der Strelitzer Straße. Auch in Schwerin gehören militärische Gebäude zum Residenzensemble.
Carolinenpalais. Erbaut als Wohnsitz von Caroline zu Mecklenburg-Strelitz, die Kronprinzessin von Dänemark war. Nach der Scheidung wohnte Sie wieder in Neustrelitz. Später weiter Wohn-Palais der großherzoglichen Familie.
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